Was so übers Zielen gesagt wird

Die Geschichte vom Turmbau zu Babel stammt aus der biblischen Überlieferung und erzählt von einem Volk, das sich einen Turm bauen wollte, um Gott zu erreichen. Doch Gott vereitelte ihr Vorhaben, indem er ihre Sprache verwirrte und sie so nicht mehr miteinander kommunizieren konnten. Der Turm blieb unvollendet und das Volk zerstreute sich auf der Erde. Die Geschichte ist ein Beispiel für den Stolz und die Arroganz der Menschheit und die Grenzen ihres Wissens und Könnens. Sie wird oft als Metapher für die Schwierigkeiten der zwischenmenschlichen Kommunikation und die Notwendigkeit von Verständigung und Zusammenarbeit in einer globalisierten Welt gesehen.
Was der Turmbau zu Babel über zwischenmenschliche Kommunikation lehrt
Nun, diese Einleitung ist zugegebenermaßen etwas reißerisch. So schlimm ist es im traditionellen Bogensport dann auch wieder nicht. Trotzdem reden viele aneinander vorbei, besonders wenn es um das Thema Zielen geht. Das Internet ist voll von „klugen“ Beiträgen, wo jeder, der weiß, wo beim Bogen vorne ist, seinen Beitrag zur Verwirrung hinterlassen kann. Und das ohne irgendeine Begutachtung eines Experten. Hier wollen wir einmal diese Experten zu Wort kommen lassen und uns ansehen, wie sie bestimmte Begriffe in Bezug auf das traditionelle Bogenschießen definieren.
Will man sich im Klaren sein, was hinter den einzelnen Begriffen steckt, sollte man nicht den Begriff selbst, sondern die Definition ansehen. Was meint er damit? Das sollte die Frage dabei sein. Denn viele verwenden zwar allgemein bekannte Begriffe, definieren sie aber nach eigenem Gutdünken.
Zuerst sollte man sich darauf einigen, was wir hier alles analysieren wollen. Bekanntlich besteht der Schuss aus dem Bewegungsablauf, also der Schusstechnik, und dem Zielen, der Zieltechnik. Ersteres hat mehrere Elemente und reicht vom Einnehmen des Standes bis Nachhalten. So weit, so gut. Beim Begriff Zielen gehen aber die Meinungen schon auseinander.
Ich wage hier eine Definition: „Zielen heißt, einen Pfeil vor dem Abschuss in Richtung und Höhe auf das Ziel auszurichten.“ Dabei ist noch überhaupt nicht gesagt, wie man das macht. Nach dieser Definition muss jeder zielen. In meinem Buch „Zieltechnik“ habe ich insgesamt 11 Möglichkeiten zusammengetragen, wie man das bewerkstelligen kann. Und ich bin sicher, dass der eine oder andere Schütze seine eigene Methode entwickelt hat.
Zum Unterschied dazu gibt es den Begriff „Visieren“. Dazu verwendet man ein Hilfsmittel, wie ein Visier, die Pfeilspitze oder auch das Bogenfenster. Visieren ist also eine Unterkategorie von Zielen. Leider verwechseln das sehr viele.
Durchstöbert man das Internet, findet man viele Infos zu diesem Thema. Hier möchte ich auf zwei Gruppen von Experten eingehen. Zum einen sind es Anbieter von Bogenkursen, die sehr häufig in geschwollenen Worten anbieten, was ihre Art des Bogenschießens ist. Sie sprechen meist Anfänger oder Leute, die an einem Incentive teilnehmen, an. Der Informationsgehalt für die Interessenten ist meist sehr gering. Die zweite Gruppe sind Websites, die tatsächlich Information für Bogenschützen bereitstellen wollen. Oft sind das Bogenclubs oder Bogensporthändler. Sie versuchen, es eher verständlich und ausführlich zu formulieren.
Wir wollen uns hier die Begriffe „instinktives Bogenschießen“ und „intuitives Bogenschießen“ näher ansehen und aus dem Internet einige Beispiele besprechen. Und natürlich erhebt das keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es soll lediglich gezeigt werden, wie verwirrend es für mögliche Einsteiger, aber auch Bogenschützen ist, sich hier ein Bild zu machen. Ein eher seltener verwendeter Terminus, den ich auch verwende, ist „Gap Shooting“, den ich im Rahmen dieses Artikels auch besprechen werde.
Meine Definitionen
Woher kommt instinktives Bogenschießen?
Der Begriff wurde eingeführt, weil der von G. Fred Asbell bekannt gemachte Begriff „instinktives Bogenschießen“ per Definition nichts mit einem angeborenen Instinkt zu tun hat. Ist zwar richtig, aber genauso könnte man sagen, dass ein „Leberkäse“ weder mit einer Leber noch mit einem Käse etwas gemein hat. Es ist einfach ein Begriff, dem man mit dem Produkt verbindet; unabhängig von der wortwörtlichen Bedeutung. So hätte es auch beim Begriff „instinktives Bogenschießen“ sein können. Bei vielen Definitionen fällt auf, dass man es „Bogenschießen“ nennt. Dabei wird auch der Bewegungsablauf subsumiert und die Unterscheidung zwischen Schuss- und Zieltechnik wird in den meisten Fällen nicht gemacht.
Wie definiere ich es?
Instinktivem Zielen
Beim „instinktivem Zielen“, wie ich es eher nennen würde, übernimmt das Unterbewusstsein die Steuerung. So wie man ein Auto fährt, ein Instrument spielt oder einfach eine Treppe steigt. Man muss es zuerst bewusst lernen, dann kann es unterbewusst ablaufen. Die Bogenhand und damit auch der Pfeil gehen automatisch, also unterbewusst (nicht zu verwechseln mit unbewusst), in den richtigen Abschusswinkel. Man braucht dazu den Pfeil nicht zu sehen. Der Winkel wird quasi aus einer Datenbank im Unterbewusstsein abgerufen. Ein Zeichen dafür ist, dass so jemand auch im Stockdunkeln, wenn er auf eine Kerze schießt, noch trifft.
Gap Shooting
Zur Unterscheidung von „instinktivem Bogenschießen“ verwende ich auch den Begriff „Gap Shooting“. Dabei legt man den Abschusswinkel des Bogenarms und damit auch des Pfeils gefühlsmäßig fest. Und was ganz wichtig ist, man braucht dazu das Bild des Pfeils in seiner Lage zum Ziel. Auch hier kann man feststellen: Wenn so jemand im Stockdunkeln auf eine Kerze schießen möchte, ist er komplett überfordert, weil er den Pfeil nicht mehr sieht.
Intuitives Bogenschießen
Da der Begriff „Instinkt“ offensichtlich nicht passt, wird von vielen der Begriff „intuitiv“ eingeführt. Das Problem dabei ist aber, dass nicht jeder das Gleiche darunter versteht. Einige meinen darunter „instinktives Schießen/Zielen“, andere wiederum das, was ich „Gap Shooting“ nenne. Damit ist die Verwirrung endgültig komplett.
Einige Definitionen zum instinktiven Bogenschießen
Henry Bodnik
"Instinktives Bogenschießen bedeutet im eigentlichen Sinne der Begriffe: Instinktiv Intuitiv, dadurch den Pfeil erfolgreich ins Ziel zu bringen, dass der Bogenschütze lernt seiner mentalen Stärke, seiner Erfahrung, seinem Körpergefühl, und seinen Instinkten völlig zu vertrauen. Dem eigenen Unterbewusstsein die Kontrolle zu übergeben ist der Weg zum Ziel.
Während Instinktives Bogenschießen schnell mit Natur und Wildnis in Verbindung gebracht wird, finden wir für Intuitives Bogenschießen eher im meditativen Bereich Verwendung. Wichtig zu erwähnen sei, dass das Instinktive Bogenschießen als Begriff historisch gewachsen ist und sehr viel länger verwendet wird als die Bezeichnung „Intuitives Bogenschießen“.
Henry verwendet den Begriff "Instinktives Bogenschießen" als Überbegriff. Darunter subsumiert er sowohl die Schuss- und Zieltechnik, als auch das "Lebensgefühl". Wenn es um die reine Frage "Zielen mit einem traditionellen Bogen" geht dann spielen allerdings Natur und Wildnis eine untergeordnete Rolle. Dass das Zielen vom Unterbewusstsein gesteuert wird, deckt sich hingegen mit meiner Meinung.
bogenschiessen-intuitiv.de
Auf der Website wird unter dem Slogan „Treffen ohne zu zielen" ausgeführt:
„Beim intuitiven Bogenschießen spielt … die Anzahl der Trefferringe eine untergeordnete Rolle, vielmehr liegt der Schwerpunkt auf der geistigen Übung.
Konzentration und innere Sammlung sind wesentliche Momente und die Intuition steht im Vordergrund.
Man schießt sozusagen aus dem Inneren, aus dem Bauch heraus. Ein weiteres Merkmal der intuitiven Schießkunst ist der Verzicht auf technische Hilfsmittel. Der Schütze erlebt den Ablauf beim Schießen intensiv. Den Spannungsaufbau beim Anziehen des Bogens und den Spannungsabbau beim Loslassen des Pfeils – bei gleichzeitigem Anvisieren des Ziels.
Ziel und Schütze werden zu einer einzigen Realität.“
Nun fragt man sich beim Lesen dieser Definitionen, wie funktioniert das, was hier in wulstigen Worten beschrieben wird? Wie bringe ich den Pfeil vor dem Abschuss in die richtige Position, wird hier überhaupt nicht behandelt, es wird vielmehr gesagt, dass man nicht zielen muss.
bogenakademie.de
„Beim Intuitiven Bogenschießen benutzen wir traditionelle Langbögen, die … keine Zielvorrichtung haben. Wie beim Werfen schaffen es die SchützInnen, die Bewegung nach und nach zu optimieren und durch einen kontinuierlichen Abgleich von Zielvorstellung und tatsächlich Erreichtem eine passende Einstellung zu gewinnen. Mit anderen Worten: Wir treffen, ohne zu zielen.“
Auch hier bleibt die Erklärung, wie das eigentlich funktioniert, offen. Und auch hier wird Zielen und Visieren verwechselt bzw. gleichgesetzt. Beim Zielen bringt man mit irgendeiner Methode ja den Pfeil in die richtige Position, beim Visieren verwendet man Hilfsmittel.
intuitivbogen.at
Im Glossar wird hier erklärt, dass „instinktives und intuitives Bogenschießen“ das Gleiche ist.
„Instinktiv/intuitiv Bogenschießen: Schießmethoden bei denen auf bewusstes Zielen verzichtet wird. Der Bewegungsablauf passiert intuitiv, der Zielvorgang läuft unbewusst (Anm.: gemeint ist sicher unterbewusst) ab, der Schütze stellt im Vorfeld keine Entfernungsschätzung an und berechnet keinen genauen Punkt, auf den er die Pfeilspitze oder ähnliches legt.
Instinktiv Bogenschießen meint dasselbe, ist aber die falsche Wortwahl, dass (sic) Instinkt eine angeborene Verhaltensweise bezeichnet, was Bogenschießen nicht ist.“
Hier wird auch erklärt, dass der Bewegungsablauf, also die Schusstechnik, intuitiv abläuft; zumindest versteh ich das so.
Einige Definitionen zum instinktiven Bogenschießen
Bogenladen-collenberg.de
Auf ihrer Website besprechen die Autoren sowohl das „intuitive“ als auch das „instinktive Bogenschießen“. Und stellen aber fest, dass sie nur den Begriff instinktives Bogenschießen verwenden. Sie unterscheiden auch ausdrücklich zwischen Schuss- und Zieltechnik.
„Beim Instinktiven Bogenschießen wird also … zur Ausrichtung des Pfeils auf das Ziel kein Bogenvisier oder sonst ein Referenzpunkt, wie zum Beispiel die Pfeilspitze vom Schützen genutzt. Vielmehr nutzt der instinktive Bogenschütze alleine seine unterbewusst gesammelte Erfahrung, die er durch die Schießpraxis auf verschiedenste Entfernungen und Geländesituationen in seiner Bogenschieß-Laufbahn gesammelt hat. Er schafft es so, Hand (also Bogen und Pfeil) und Auge (Fokus auf den gewünschten Zielpunkt) so in Übereinstimmung zu bringen, dass er trifft. Es handelt sich dabei im Gegensatz zu anderen Zieltechniken um einen völlig unbewussten (Anm.: gemeint ist sicher unterbewusst) Vorgang. Ein instinktiver Bogenschütze zielt/visiert also nicht im eigentlichen Sinne! Genauso wenig zielt ein Fußballer oder Golfspieler. Alle haben gemein, dass sie sich auf das, was sie treffen wollen, fokussieren und ihr Unterbewusstsein den Körper die richtigen Bewegungen wie von alleine ausführen lässt.“
Im Wesentlichen stimme ich mit der beschriebenen Definition überein. Einzig die Aussage, dass ein instinktiver Schütze nicht zielt/visiert, ist nach meiner Definition von Zielen falsch. Jeder muss zielen, aber nicht jeder visiert, wie bereits oben ausgeführt wurde.
Einige Definitionen zum Gap Shooting
bogenundpfeil.de
„Gap Shooting ist für den Blankbogenschützen (alle Blankbogenarten, vom Langbogen über Jagdrecurve bis zum Blank-Recurve) gedacht und beruht darauf, dass der Bogenschütze seinen Zielpunkt am Ziel kennt. In Abhängigkeit des gewählten Ankers kann der Schütze in der Regel nicht direkt in das Gold halten, sondern hat häufig einen Zielpunkt deutlich unterhalb des Ziels. … Der Bogenschütze muss also, um in das Gold zu schießen, auf einen anderen Punkt zielen.“
Hier ist gemeint, dass man mit einem Hilfsmittel, mit dem Bogenfenster oder der Pfeilspitze auf einen vorher festgelegten Punkt zielt. Das ist in meinem Dafürhalten eigentlich „Systemschießen“.
swiss-archery.com
Der Schweizer Verband verwendet die wortgleiche Definition von „Gap Shooting“ wie im vorhergehenden Beispiel. Allerdings verwenden sie eine Grafik von mir von der Website www.traditionelles-bogenschiessen.at, in der es aber ausdrücklich als „Systemschießen mit dem Bogenfenster“ bezeichnet wird.
Schlussfolgerung
Einfach ausgedrückt: Die Begriffe sind die gleichen, aber die Definition wird unterschiedlich beschrieben. Oft ist sogar das genaue Gegenteil gemeint, oft wird nur abgeschrieben und oft fühlt sich der Autor aber berufen eine eigene Erklärung zu kreieren. Eine einheitliche Definition der Begriffe, wie sie in anderen Sportarten üblich sind, wird es höchstwahrscheinlich nie geben.
Wer mit anderen über diese Thematik diskutieren will, sollte sich weniger an den Begriffen selbst, sondern mehr an deren Definition orientieren. Erst wenn man weiß, was gemeint ist, kann man darüber vernünftig reden.
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