Archer´s Paradox
In der Physik beim Bogenschießen gibt es ein sehr interessantes physikalisches Phänomen, das als Archer‘s Paradox bekannt ist. Wenn ein Pfeil links (oder rechts) vom Bogen geschossen wird, macht er Bewegungen, die unter normalen Umständen nicht zu erwarten sind. Die Beschreibung dieses Phänomens findet man oft in der Literatur oder im Internet. Leider wird es häufig falsch beschrieben. Ein Grund, dem einmal näher auf den Grund zu gehen.
Das Paradoxon liegt in der Tatsache, dass der Pfeil während des Flugs oszilliert, wenn die Sehne eine Kraft am Ende des Pfeils ausübt. Hat der Pfeilschaft die richtige Steifigkeit, biegt er sich so um den Bogen, dass seine Flugbahn in die gleiche Richtung wie bei vollem Auszug die Pfeilachse verläuft. Diese zeigt ja bekanntlich im Vollauszug Richtung Ziel und nicht wie oft fälschlich behauptet links (oder rechts beim Linkshänder) am Ziel vorbei. Das dauert aber nur Millisekunden, bis der Pfeil den Bogen verlassen hat.
Im Vollauszug vor dem Lösen
Aufgrund der relativ hohen Kraft, die auf den Pfeil beim Abschuss wirkt, beschleunigt er schnell und es wäre eine Hochgeschwindigkeitskamera erforderlich, um die Bewegung zu erfassen. Durch diese Kraft beginnt er hin und her zu schwingen. Die auf den Pfeil wirkende Kraft entspricht der Zugkraft des Bogens im Vollauszug. Diese Kraft liegt bei traditionellen Bögen zwischen 20 und 70 Pfund. Das ist im Vergleich zur Masse des Pfeils sehr groß, weshalb er aufgrund des zweiten Newtonschen Gesetzes auch sehr schnell beschleunigt. Dieses besagt, dass die Beschleunigung eines Objekts proportional zur Kraft ist, die auf das Objekt einwirkt, und umgekehrt proportional zur Masse des Objekts ist. In einfacheren Worten bedeutet dies, dass ein schwereres Objekt mehr Kraft benötigt, um beschleunigt zu werden als ein leichteres Objekt.
Im Folgenden wollen wir darauf eingehen, was passiert, wenn der Pfeil gelöst wird und warum er auf der Flugbahn fliegt. Die Formel dafür ist: F = m * a. Dabei steht F für Kraft, m für Masse und a für Beschleunigung. Alle Beschreibungen beziehen sich auf einen Rechtshandschützen.
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Bild 1: Hier decken sich bei vollem Auszug die vom Schützen verwendete Sehlinie und die Pfeilachse und liegen genau auf dem Ziel. Das entspricht der Flugbahn des Pfeils nach dem Lösen. Diese Flugbahn unterscheidet sich von der erwarteten Flugbahn, die der Pfeil nehmen würde, wenn er vollständig steif wäre und nicht schwingen würde. Die erwartete Flugbahn ist in Bild 1 hellgrau dargestellt.
Diese Position hätte ein starrer Pfeil kurz bevor er den Bogen verlässt. Der Grund dafür ist, dass die Sehne Richtung Bogenmitte nach vorne geht und die Pfeilspitze sich dadurch nach links bewegt. Diese Diskrepanz zwischen der erwarteten Flugbahn eines steifen Pfeils und der tatsächlichen Pfeilbewegung aufgrund der Pfeiloszillation ist der Kern des Archer´s Paradox.
Anmerkung: Die Maße und Verhältnisse sind für die Verständlichkeit übertrieben dargestellt. |
Erste Stufe
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In der in Bild 2 dargestellten ersten Phase passieren drei Dinge:
1. Wenn der Schütze seine Finger öffnet, gleitet die Sehne zuerst nach links. Das geschieht deshalb, weil man nicht in der Lage ist, die Finger sehr schnell zu öffnen. Mit einem mechanischen Release ist das im Gegensatz dazu möglich. Deshalb schwingt auch ein Pfeil von einem Compoundbogen mit Release geschossen, vertikal und nicht horizontal. 2. Die Bewegung der Sehne nach links bewirkt, dass der Pfeil horizontal zu schwingen beginnt. Die Kraft F1, die von hinten auf den Pfeil wirkt, trägt darüber hinaus zur Auslenkung des Pfeils nach links (Delta Δ) bei. 3. Der Pfeil berührt den Bogen am Punkt P. Durch die Bewegung der Sehnen nach links bewegt sich die Pfeilspitze nach rechts. Die Biegung geschieht um den Massenmittelpunkt G des Pfeils. |
Zweite Stufe
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In der in Bild 3 dargestellten zweiten Phase passieren zwei Dinge:
1. Die Sehne bewegt sich wieder nach rechts, weil sie wieder in ihre ursprüngliche Position zurück will. Sie zieht dabei mit einer Kraft F2 am Pfeil. 2. Die Spitze des Pfeils bewegt sich dabei nach links. Dabei zeigt sie wieder genau auf das Ziel, auch hier geschieht die Biegung um den Massenmittelpunkt G des Pfeils. |
Dritte Stufe
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In der dritten und letzten Stufe (Bild 4) verlässt der Pfeil den Bogen vollständig, nachdem er eine volle Schwingung abgeschlossen hat. Der Pfeil fliegt jetzt direkt auf das Ziel zu. Er oszilliert weiter bis zum Ziel, wobei die Amplitude der Oszillation allmählich abnimmt, aber während des gesamten Fluges dieselbe Frequenz beibehält. Zusätzlich dreht sich der Pfeil noch je nach Befiederung. Die Befiederung hilft ihm dabei, die Richtung beizubehalten.
Es ist wichtig, dass die Zeit, die der Pfeil benötigt, um eine volle Oszillation zu durchlaufen, ungefähr der Zeit entspricht, die der Pfeil benötigt, um den Bogen nach dem Lösen zu verlassen. Wenn diese Zeit zu kurz ist, kann das Ende des Pfeils beim Vorbeifliegen am Bogen anschlagen, wodurch die Richtung geändert werden kann. Der Pfeil wird dann nach rechts abgelenkt. Wenn die Oszillationszeit zu lang ist, wird die Flugbahn des Pfeils möglicherweise nicht ausreichend gerade und er wird links vom Ziel abweichen.
Der Spine (Steifigkeit) eines Pfeils beeinflusst die Oszillation. Je steifer der Pfeil, desto höher ist die Schwingungsfrequenz. Der Spine muss also genau zur Zugstärke, zur Auszugslänge und zur Schusstechnik des Schützen passen. |
Die Moral …
Es ist möglich, die Frequenz und Amplitude der Schwingung des Pfeils während des Auslösens analytisch vorherzusagen und dies zu modellieren.
Am besten ist es aber, die Theorie um das Archer´s Paradox zu beachten. Wenn es aber darum geht, den richtigen Pfeil für den Bogen zu finden, muss man wohl oder übel etwas herumprobieren, um zu sehen, was am besten funktioniert.